kind mit zwei gesichtern

ALLTAGSGESCHICHTE Zugegeben: Der Titel ist ziemlich reißerisch und er trifft auch meine Gedanken und Gefühle zu der Tatsache, dass unsere Frieda zu Hause manchmal ein ganz anderer Mensch ist, als sie sich in vielen Situationen in der KiTa zeigt, nicht ganz genau. Der Titel könnte aber durchaus ausdrücken, dass dieses Anderssein für uns Eltern erstmal kein Problem darstellt, uns nicht ärgert und auch nicht traurig macht. Sie passen für uns sogar beide total ins Bild und sind aufgrund ihrer Wesenszüge vollkommen nachvollziehbar. Beide Seiten gehören zu unserer Tochter und keine Seite ist besser oder schlechter. Sie sind einfach da und unterschiedlich. Feststellen ohne zu (be)werten – nicht immer einfach. Und trotzdem verlieren wir es nicht aus den Augen.

das hochsensible, introvertierte wesen

Wir alle sind Experten für unsere Kinder. Wir kennen sie ziemlich gut. Als Mama kann ich typische Verhaltensweisen unserer Frieda meistens gut beschreiben und manchmal sogar “vorhersehen”. Das liegt natürlich an Erfahrungswerten, die wir mit ihrem hochsensiblen und introvertierten Wesen im Familienalltag machen. So agiert Frieda in ihr neuen, unbekannten Situation eigentlich immer sehr zurückhaltend und schüchtern. Außerdem mag sie fremde Menschen eher nicht. Da macht es auch keinen großen Unterschied wo sie sich befindet. Klar, mit uns Eltern öffnet sie sich vielleicht etwas leichter und schneller als in der KiTa, grundsätzlich zeigt sie sich diesbezüglich aber sehr ähnlich. Frieda braucht in fremden Situationen oft sehr viel Zeit und Begleitung von ihr vertrauten Menschen, um sich wohler zu fühlen. Ändert sich nur ein klitzekleiner Parameter, scheint alles wieder “auf Null gesetzt”. Das beste Beispiel ist die offene Reitstunde, zu der nämlich keine feste Kindergruppe, sondern einzelne Teilnehmer manchmal mehrere Wochen nicht kommen und dann wieder doch. Obwohl der Stall, das Pony, die Reitlehrerin und der Ablauf der Stunde immer wiederkehrend jeden Samstag gleich sind, wäre es für Frieda definitiv leichter, wenn auch immer dieselben teilnehmenden Kinder dort wären. Für sie ist das Setting in meiner Begleitung trotzdem okay so, aber für ihr Wesen eben nicht perfekt. Sie allerdings jetzt vor all solchen unangenehmen Situationen komplett zu bewahren, ist in meinen Augen auch keine Lösung. Diese Botschaft wäre grundverkehrt und würde für die Entwicklung der Resilienz unserer Tochter sicher keineswegs förderlich sein. Gut begleitet macht sich unsere Frieda dann also immer wieder auf in unangenehmes und neues Terrain. Und Frieda entwickelt sich und wird dadurch selbstbewusster und “stärker”.

interessen, vorlieben und spiele

Beobachtet man unsere Frieda in der Kita und lauscht den Erzählungen der Erzieher, werden auch hier ihre introvertierten und hochsensiblen Wesenszüge sehr deutlich. Frieda hat keine wechselnden Spielpartner, sondern zwei gute Freunde auf die sie morgens auch wartet und vorher eigentlich nie mit anderen Kinder spielt. Sie zeigt sich im Allgemeinen eher schüchtern, wenig redselig (vor allem gegenüber den Erwachsenen) und Struktur gibt ihr wahnsinnig viel Halt. Das sind nur ein paar wenige für sie typische Verhaltensweisen, die für die KiTa in gleichem Maße wie für unseren Familienalltag gelten. In zwei Bereichen unterscheidet sie sich allerdings sehr deutlich, so dass man von “zwei Gesichtern” sprechen könnte. In der KiTa zeigt unsere Frieda ein (über-)angepasstes Verhalten, Gefühle wie Wut oder Traurigkeit explodieren dann hier zu Hause. Und ihre Interessen, Vorlieben und ihr Spielverhalten sind im KiTa-Setting deutlich anders als zu Hause. Während unsere Frieda sich zu Hause extrem wissbegierig zeigt, sich seit einigen Monaten selbst Wörter erliest, unser Vorlesen über alles liebt, in Hörgeschichten eintaucht, gerne rechnet und sehr viel malt, bastelt und locker Puzzle mit 150 Teilen legt, fühlt sie sich in der KiTa nie zu altersgleichen Kindern, sondern ausschließlich zu Jüngeren hingezogen und hält all’ ihr “Können und Wissen” total im Verborgenen. Ihr Interesse an Zahlen, Mengen, Buchstaben, Wörtern, Büchern, am Basteln und Weltwissen, kommt in der KiTa sowas von gar nicht zu Tage, dass man meinen könnte, es seien zwei ganz unterschiedliche Kinder, die wir erleben. Mich würde es nicht wundern, wenn Friedas Verhalten in der KiTa irgendwann einmal als sonderbar und nicht altersgemäß betrachtet werden würde. Selbst an Bastelangeboten nimmt Frieda nicht teil, sondern spielt lieber Rollenspiele in der Kinderküche.

Ich betone es nochmal: Für uns ist es nicht mehr als eine Feststellung, eine Tatsache. Kein Grund zur Sorge. Wir haben kein Gesprächsbedarf, sind nicht traurig und noch nicht einmal irritiert davon. Frieda hat für uns einen sehr wundervollen Weg gefunden sich selbst gerecht zu werden, auf ihr hochsensibles Wesen gut acht zu geben, ihre Bedürfnisse zu erkennen und danach zu handeln. So wird kindliches Spielverhalten genauso aufgetankt, wie der Wissensdurst gestillt wird. Das eine vor allem in der KiTa, das andere eben zu Hause. Für mich klingt das nach einem total Einklang mit sich selbst und dass da ein kleiner Jemand sehr gut auf sich selbst hören kann. Wir beobachten und begleiten dich dabei. Ich hoffe du behältst dir das, kleine-große Frieda.

Warum ich das schreibe? Ganz oft zeigen sich Kinder zu Hause ja ganz anders als im Setting von KiTa oder Schule. Schnell werden die Eltern “ins Verhör genommen” und das Verhalten wird vielleicht zum Problem gemacht. Ja, und manchmal sind Verhaltensweisen auch nicht gerade passend für das vorhandene System und man muss gemeinsam gucken, welche Stellschrauben geändert werden können. Ich will euch nur sagen, dass es gar nicht so untypisch ist, dass ihr das Gefühl habt zwei unterschiedliche Kinder zu haben. Das geht vielen Eltern so! Und mal ganz nebenbei: Wir Erwachsenen haben doch auch unterschiedliche Rollen und agieren innerhalb dieser Rollentotal unterschiedlich.

Hattest du schon mal den Gedanken “Das kenne ich von zu Hause gar nicht?”

2 Comments

  • Danke für den tollen Artikel. Gerade letzte Woche wurde ich in den Kindergarten bestellt. Dort wurde berichtet dass unsere Maus im Moment gar nicht spielen wolle und unmotiviert sei. Zuhause ist dies überhaupt nicht der Fall, ganz im Gegenteil.
    Dein Artikel zeigt mit, dass es nicht nur mir so geht, das beruhigt sehr.

  • Wir hatten neulich erst im KiGa Entwicklungsgespräch. Und da sind wir darauf gekommen, dass mein Sohn eigentlich im KiGa auch so ist wie zuhause. Und das finde ich super. Natürlich klappt im KiGa das Aufräumen wie von selbst und daheim so gar nicht, aber das ist normal, oder?

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