menschenkinder und ihre artgerechte Haltung

menschenkinder1REZENSION Wenn ich mich abends zu unserem Mini-Menschen-Mädchen in unser Familienbett kuschel, lese ich bei gedämpften Licht meistens noch ein paar Seiten bevor auch mir die Augen zufallen. Im Moment lese (oder besser verschlinge) ich “Menschenkinder – Plädoyer für eine artgerechte Erziehung” von Herbert Renz-Polster, erschienen bei Kösel.

Das Baby ist erst vor kurzer Zeit geboren und schon haben andere Leute die besten Tipps auf Lager, wie nun mit dem kleinen Wesen umzugehen ist. Es soll sich ja zu einem freundlichen, ehrlichen, selbstständigen, toleranten, aufgeschlossenen, höflichen, wissbegierigen, motivierten und verantwortungsbewussten Erdenbürger entwickeln – so schnell wie möglich natürlich! Wir bekamen sie auch. Ratschläge. Meist sogar ungefragt. “Das Kind muss rasch lernen alleine einzuschlafen, ohne Brust natürlich.” “Alleine in seinem eigenen Bett ist es besser aufgehoben.” “Man muss es auch mal schreien lassen. Ihr verwöhnt sie nur.”, “Stillen ist überbewertet. Mit Säuglingsnahrung sind wir auch noch alle groß geworden.”, “Das sieht so furchtbar ungesund aus in der Trage. Das ist doch schädlich. Kinder müssen flach liegen.” und so weiter. Mir sträuben sich jetzt noch die Nackenhaare. Nicht auszumalen, hätte ich nur einen einzigen dieser Tipps beherzigt. Zum Glück hat mein Gefühl immer gesiegt.

In meinem Bauchgefühl sehe ich mich nach der Lektüre von “Menschenkinder” vollkommen bestätigt. Herbert Renz-Polster bringt sehr eindrucksvoll auf den Punkt, warum Eltern die Bedürfnisse ihrer Säuglinge stets stillen sollten. Genau das liege nämlich immer noch in der Natur des Menschen. Die Welt, in die heutige Kinder hineingeboren werden, ist zwar längst keine der Steinzeit mehr, die Bedürfnisse und Erwartungen unserer Mini-Menschen jedoch sind immer noch die von vor 15.000 Jahren.

menschenkinder2Der Autor widmet sich vor allem den großen Themenbereichen, die Eltern von heute immer noch oder immer wieder verunsichern. Er räumt mit Geschwätz von Vorgestern auf und widerlegt altbackene Erziehungsstile gestützt durch zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse. Es geht unter anderem um die Bedeutsamkeit der körperlichen Nähe und des Tragens für Menschenkinder, das Ein- und Durchschlafen und das Verwöhnen. Renz-Polster, der sich nicht nur im Rahmen seiner Tätigkeit an der Universität Heidelberg mit der kindlichen Entwicklung vor dem Hintergrund der Evolutionstheorie bestens auskennt, sondern auch noch Kinderarzt ist, beleuchtet dabei natürlich psychische und physische Aspekte. Immer wiederkehrend im Fokus ist die Entwicklung zur Selbstständigkeit, denn >>Kleine Kinder gedeihen dort, wo sie in funktionierenden Beziehungen leben können – in feinfühligen, authentischen, verlässlichen Beziehungen.<< (Renz-Polster, Menschenkinder, S. 155, Kösel). Wer außerdem noch wissen möchte, warum Mini-Menschen eigentlich kein gesundes Gemüse mögen, sogenannte Trotzanfälle zur ganz normalen menschlichen Entwicklung dazu gehören müssen, warum Spielen in gemischtaltrigen Kindergruppen so wichtig ist und wie die artgerechte Haltung von Menschenkindern genau aussieht, dem kann ich das vorliegende Buch nur wärmstens ans Herz legen. Es ist für Jedermann leicht verständlich geschrieben und überhaupt keine schwere, anstrengende Kost. Ganz im Gegenteil. Das Lesen dieser Streitschrift ist, trotz des so ernsten Themas, nahezu erfrischend und unterhaltsam. Also, ab in die Buchhandlung deines Vertrauens.

Übrigens, weil ich nicht genug über die Evolution unserer Kinder von Herbert Renz-Polster lesen konnte, habe ich mir “Kinder verstehen” auch noch schnell besorgt. Wer mich sucht, ich bin dann jetzt mal kuscheln und lesen.

[Das Rezensionsexemplar “Menschenkinder” von Herbert Renz-Polster wurde mir zur Verfügung gestellt]

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