ALLTAGSGESCHICHTE Man hört und liest es immer wieder: Kinder sollen schon früh daran gewöhnt werden, Tätigkeiten im Haushalt zu übernehmen. Dadurch würden sie vor allem selbstständig werden und lernen Verantwortung für sich und die Familie zu übernehmen. Zu diesen Aufgaben gehören nicht nur eigenverantwortlich für die Ordnung im Kinderzimmer zuständig zu sein, aufzuräumen und dort etwas sauber zu machen, sondern sie sollen kleinere, aber feststehende Aufgaben des anfallenden Haushalts der gesamten Familie übertragen bekommen. Das kann sein den Geschirrspüler ein- und auszuräumen, den Müll raus zu bringen, Staub zu saugen oder die Wäsche aufzuhängen. Ich atme tief durch. Ja, sollen sie?
nicht müssen, sondern eingeladen sein
Um es direkt an den Anfang meines Beitrages zu stellen: Bei uns gibt es keine Haushaltspflichten fürs immer älter werdende Kind. Es gibt keinen Plan mit Bildchen der Aufgaben, die Frieda in dieser Woche für die Gemeinschaft übernehmen soll und auch keinen Arbeitsplan der ganzen Familie. Für uns fühlt es sich total falsch an, Kinder in irgendeiner Weise dazu zu zwingen und dahin zu erziehen, sich am Haushalt zu beteiligen. Nicht mit Lob oder einem Verstärkerplan und auch nicht mit viel (über-)reden und einem Appell an unser aller Rechte und Pflichten, daran dass wir nunmal alle ein Teil der Familie seien und einen entsprechenden Beitrag leisten müssen. Unsere Frieda muss uns beim Haushalt nicht helfen, sondern wir laden sie dazu ein. Es ist eine Einladung in die Welt der Erwachsenen, denn Verantwortung für unsere Familie, für die Ordnung und Sauberkeit in unserer Wohnung und die Mahlzeiten übernehmen nunmal ausschließlich wir Großen. Wir vertrauen darauf, dass unsere Frieda immer gerne hilft und Aufgaben im Haushalt gerne mit uns gemeinsam erledigt. Bisher genießen wir die gemeinsame Zeit miteinander, haben Freude am gemeinsamen Tun – egal, ob wir das Badezimmer putzen oder eine Mahlzeit zubereiten. Wir reden oder singen dabei, hören Musik und Hörspiele. So kann Frieda durch unser Vorbild lernen und ganz freiwillig und ohne Zwang nach eigenem Ermessen ihre Erfahrungen machen. Und ja, natürlich darf Frieda unsere Einladung auch ausschlagen. Sie darf “Nein” sagen und lieber spielen wollen. Wir sind der Meinung, dass Kinder viel mehr daraus lernen, wie sie behandelt und mit ihnen umgegangen wird, als davon, was ihnen gesagt oder wozu sie erzogen werden. Gerade auch bei den Aufgaben im Haushalt. Kinder nehmen gerne am Leben teil und freuen sich darüber wertvolle Beiträge für das Zusammenleben zu liefern.
Tja, und wenn sie dann mal älter ist?
Nun nickst du vielleicht eifrig mit dem Kopf und denkst: “Klar, noch hilft Frieda ja auch noch gerne. Sie ist erst 5. Warte mal ab, bis die Pubertät kommt…”. Ja, ganz sicher wird es auch Phasen im Leben dieses kleinen Menschen geben, in denen sie sich lieber mit lauter Musik in ihr Zimmer zurückzieht, wenn Mama und Papa den Putzlappen schwingen. Sie wird vielleicht Chaos in ihrem Zimmer haben und Einladungen zum gemeinsamen Kochen, Putzen und Aufräumen dankend ablehnen. Und auch wenn es uns Eltern dann in und wieder mal schwer fallen wird, muss ein “Nein” dann vollkommen okay für uns sein. Putzpläne oder kleine Bildchen mit Diensten für die Allgemeinheit wird es bei uns aber (ziemlich sicher) auch in den nächsten 15 Jahren mit einer jungendlichen Frieda nicht geben. Ich will das nicht! Ich bin davon überzeugt, dass kleine und immer größer werdende Menschen, die es kennengelernt haben sich auf Augenhöhe zu begegnen, auch mal “Nein” sagen zu dürfen, füreinander da zu sein, sich zu unterstützen und gerne Zeit miteinander zu verbringen, sich auch in schwierigeren Lebensphasen in das Familienleben und den Haushalt einbringen, wenn sie nicht zur Pflichterfüllung erzogen werden.
Wie immer ist dieser unerzogene Ansatz bezüglich der Mithilfe im Haushalt natürlich nicht der einzige Weg und erst recht nicht der einzig richtige. Es ist eben einfach nur unser Weg und vielleicht nicht eurer. Unser Weg passt nicht zu euch, zu euren Kindern, genauso, wie eure Art womöglich nicht zu uns passen würde. Vielleicht habt ihr eine große Familie und ein “jeder muss mit anpacken” wird wunderbar auf Augenhöhe von allen umgesetzt. Ich wünsche mir, dass Einstellungen und Meinungen nebeneinander stehen dürfen und ihr Lust habt, von euch und eurer Familie zu erzählen.
Gibt es in eurer Familie Arbeitspläne für alle und kleine, feste Haushaltsaufgaben für die Kinder? Wenn ja, was müssen/dürfen/können eure Kinder in welchem Alter im Haushalt übernehmen?
Bei uns gibt es kleine Aufgaben, die aber kein Muss sind. Wenn sie eine Aufgabe erledigt hat bekommt sie dafür Punkte, je nach Aufgabe 1-2 Punkte. Diese kann sie sammeln und sich damit die heiß begehrten Paw Patrol Folgen erarbeiten. Einige Folgen darf sie jede Woche sowieso anschauen und für zusätzliche Folgen gibt es dann das Punktesystem. Wir haben das Fernsehen lange heraus gezögert aber ich finde einen guten Umgang damit besser und auf Dauer besser durchzuhalten als ein Dauerverbot. Wir fahren mit dieser Variante aktuell sehr gut.
Liebe Julia,
beim Lesen deines Textes habe ich irgendwie die Orientierung verloren und bei mir sind mehr Fragen als Antworten aufgetaucht.
Was meinst du, wenn du sagst, dass du darauf vertraust, dass deine Tochter dir gerne hilft? Was passiert, wenn sie nicht so gerne hilft, aber die Hilfe dennoch nicht gänzlich ablehnt? Hier vermisse ich einige Handlungsmöglichkeiten zwischen gerne und gar nicht – der Alltag ist ja kein idealer Zustand und eben nicht immer eindeutig.
Deine Vorstellung vom Familienleben klingt für mich ein wenig nach Konfliktvermeidung und so als hättest du eine sehr hohe (evtl. auch unausgesprochene Erwartung) an ein sehr harmonisches Zusammenleben. Ich finde, dass Eltern, die ein sehr hohes Harmoniebedürfnis aussenden, ihre Kinder damit oft gleichzeitig sehr erdrücken können. Wie darf deine Tochter sich emotional von dir abgrenzen, wenn du möchtest, dass sie die Zeit, die sie mit dir verbringt immer als harmonisch empfindet? Wo ist da die gesamte Bandbreite gelebter Emotionen?